Die Hexe im Märchen

…dazu fällt den meisten Menschen sofort die Hexe aus Hänsel und Gretel ein: Alt, krumm, hässlich, listig, bösartig. Erinnert wird sich an die böse Königin in Schneewittchen, die sich als alte Frau verkleidete und Gift so kunstvoll mischen konnte, dass sie den Apfel scheinbar tödlich präparierte. Manche kennen noch die Baba Jaga, die Menschen in Tiere verwandeln kann, mit den Toten spricht und in einem Häuschen im Wald wohnt, das auf Hühnerfüßen steht und laufen kann. Aber ist sie eine Hexe? Oder eher eine Zauberin?

Das Wort Hexe ist tatsächlich noch nicht so alt. Erst um 1450 war es fertig konstruiert worden, um Frauen…und manchmal auch Frauen mit besonderen Fähigkeiten und Wissen möglichst schlecht darzustellen: eben als Hexe. Doch welche Rolle spielt dabei das Märchen? Dagmar Margotsdotter schreibt, das Wort Märchen leitet sich her von dem Wort MÄR. Die Mär ist eine Geschichte, der man glauben konnte. Doch je mehr der Glauben verloren ging oder verboten wurde, desto weniger bedeutsam war die Mär – und wurde so zum Märchen.

Erzählt wurde schon immer abends an den Feuern. In vorchristlichenJahrhunderten und bis weit ins Mittelalter gab es Geschichten auch über das Wirken der Göttinnen und Götter, an die man glaubte, die man um Rat und Hilfe bat, denen man Fähigkeiten zuschrieb, die notwendig waren, um im eigenen Leben und Alltag klarzukommen. In allen diesen Geschichten gibt es personifizierte Zuständigkeiten: die Göttinnen treten auf als Jungfrau/ junge Frau, als Mutter oder als Alte.

Illustration aus: Karfunkel – Kraut und Hexe Nr. 1. Sonderheft 2008 – Zeitschrift für erlebbare Geschichte, herausgegeben von Michael Wolf

Die Alte ist wichtig im Märchen. Ihr Wissen ist am Größten. Sie kann mit den Verstorbenen sprechen, sie kann den Tod begleiten und den Übergang in ein neues Leben. Die Alte kann sich verwandeln, z.B. in eine Eule, einen Raben, eine Katze, meist in ein nachtaktives Tier… denn sie wirkt am Ende des Tages, am Ende des Lebens. Die Alte kann auch andere verwandeln, damit diese neue Erfahrungen sammeln können in einem „anderen Sein“. Sie kann verwandeln vom Tod zum neuen Leben.

Früher „als das Wünschen noch half…“, als die Menschen noch an verschiedene Göttinnen und Götter wie selbstverständlich glaubten, war die alte weise Frau keine Hexe – sondern eine lebenswichtige „Person“, der man respektvoll begegnete. Es war in keiner Weise verurteilenswert, wenn eine Frau magische Fähigkeiten hatte. Mit der Hexenverfolgung änderte sich das.

Die öffentlich verlesenen Verhör-Protokolle bei Hexenverbrennungen, die gedruckten Flugblätter mit schrecklichen Bildern, die Angst, die die Kirche verbreitete, dass Ungläubige in der (erst christlich erfundenen) Hölle landeten – all das bewirkte, dass sich der Glauben an die alte Göttin wandelte. Die Attribute blieben: alt, zauberisch, kraftbegabt, umgeben von nachtaktiven Tieren, sich verwandeln und durch die Luft fliegen könnend. Die jetzt aber – und das war neu – nicht mehr aus sich selbst heraus mächtig sind und zaubern können, sondern nur im Bund mit dem (ebenfalls christlich erfundenen) Teufel. Und so begegnen uns jetzt die Hexen in den Sagen und Märchen, die erst im ausgehenden Mittelalter und der frühen Neuzeit entstanden. Erst mit dem Vordringen des Christentums etablierte sich der Begriff Hexe im Sprachgebrauch. Der alte Volksglaube, der sich an den Rhythmen der Natur orientierte, wurde im Rahmen der christlichen Missionierung von der Kirche als Aberglaube betrachtet, der bekämpft werden musste.

„Wir befinden uns in dem geschichtlichen Zeitraum vom 15. bis zum 17. Jahrhundert, einer Zeit der Angst und des Schreckens. Es herrscht der sogenannte Hexenwahn. Seit Jahren, Jahrzehnten brennen… die Feuer der Inquisition besonders durch die Leiber unserer Urahninnen. Sie werden als Hexen diffamiert und zu Tausenden zum Tode verurteilt. Es ist die Zeit, in der aus der heiligen Stute Epona ein Schimpfwort wird: alte Mähre. Und aus Lindwürmern Hausdrachen werden, aus der Göttin des Todes und der Weisheit wird die Rabenmutter. Und die allumfassende Göttin, im Norden Freya oder Frigga genannt, die in vielen Tieren, so auch als heilige Sau verehrt wird, wird zur alten Sau degradiert und mit ihr das gesamte Geschlecht der Frauen.“1

Wer begegnet uns nun in den Sagen dieser Zeit?

Die Sagen brachten die Hexe in den realen Alltag – bezogen auf konkreten Ort, Zeitraum, Geschehen und (vermeintlich) real existierende Personen. In den Sagen lebt die Hexe meist als Nachbarin, Bekannte oder Verwandte, ist damit Teil der Gemeinschaft und mit ihr das Magische. Volkstümliche Sagen konnten somit einen Katalysator der Hexenverfolgung bilden. Im Gegensatz zur Kirche, die dem Teufelspakt große Bedeutung einräumt, setzt die Sage jedoch andere Schwerpunkte: Bei der überwiegend auf dem Land lebenden Bevölkerung geht es vor allem um die Erklärung unerklärlicher Phänomene. So bedroht die Hexe in vielen Fällen mit Schadenszauber die Ernte. Teufelsbuhlschaft kommt in vielen Sagen kaum vor, selbst der „Hexen-Sabbat“ gleicht in der Schilderung einem bäuerlichen Fest.2

Der Melinenborn zu Leisnig

Im Jahre 1615 wurde zu Leisnig eine Mutter mit zwei Töchtern wegen Zauberei lebendigen Leibes verbrannt. Bei der Exekution sollen schwarze Raben um das Feuer geflogen sein. Bevor sie in Haft genommen worden waren, fürchtete sich jedermann vor ihnen. Man sagte ihnen nach, dass sie die Leute behexten, die ihnen nicht eine gute Tat erweisen würden. Um nicht ihren Unwillen herauszufordern, wurden ihnen deshalb von allen Hochzeiten, Kindtaufen und sonstigen Festen Speisen geschickt. Nach der Mutter, die Meline hieß, wurde der Born (die Quelle) auf einer Wiese am Minkwitzer Messweg Melinenborn genannt. Dort soll sie mit dem bösen Geist zu tun gehabt haben.3

 

Quellen:

1. Margotsdotter-Fricke, Dagmar (2008): Die gute alte Mär. Christel Göttert Verlag, S. 9

2. Tepe, Peter: „Die Variation des Hexenbegriffs vor dem Hintergrund seiner literaturspezifischen und religionshistorischen Funktion“ S. 4-5 http: //www.mythos-magazin.de (Stand: 10.05.2017)

3. Werner, Dietmar (Hrsg.)(1986): Das Fegeweib vom Katzenstein – Frauen in der sächsischen Sage. Leipzig : Verlag für die Frau

Illustration aus: Karfunkel – Kraut und Hexe Nr. 1. Sonderheft 2008 – Zeitschrift für erlebbare Geschichte, herausgegeben von Michael Wolf. MD&M Pressevertreib, S.23

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