Magische Vorstellungen und Praktiken gab es weltweit zu allen Zeiten, und sie sind auch heute noch in vielen Kulturen verbreitet. In Mittel- und West-Europa wurden sie mit der Hexenverfolgung weitestgehend ausgelöscht oder in den Untergrund verbannt. So unterschiedlich die gesellschaftlichen Hintergründe sind, in denen Magie praktiziert wurde und wird, so gibt es doch immer wieder Ähnlichkeiten. Diese Ähnlichkeiten können anhand von einigen magischen Handlungen zu Schwangerschaft und Geburt veranschaulicht werden. Zum einen aus dem Europa des Mittelalters bis – in einigen Elementen – hin zur Neuzeit und zum anderen aus dem heutigen Afrika am Beispiel der ethnischen Gruppe der Mafa.1
Das Orakel ist z.B. ein magischer Akt, der allen vorindustriellen Kulturen bekannt ist, aber sehr unterschiedlich ausgeführt wurde: In Europa ist der Blick in die Kristallkugel bekannt, bei den Mafa wird am häufigsten das Steinorakel befragt.
Magische Akte rank(t)en sich überall insbesondere um die Frauenthemen, denn Schwangere, Gebärende, sowie Wöchnerinnen und Neugeborene waren in besonderer Weise übernatürlichen Mächten ausgesetzt. Dieser Schutzbedürftigkeit, denen Mutter und Kind ausgesetzt waren, galt es, Rechnung zu tragen. Dazu hatte die Volksmagie verschiedenste Möglichkeiten zur Verfügung.
Menstruationsblut
Deutschland noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Menstruierende Frauen galten als unrein und durften zum Beispiel kein Bier brauen, den Weinkeller nicht betreten und die Milch nicht berühren.2
Mafa:
Während der Periode darf die Frau kein Bier brauen. Das Bier würde zu schwer, zu hell und schlierig werden.
Schwangerschaft
Schwangere befinden sich in einem Ausnahmezustand, der sie besonders empfänglich für mentale Übergriffe macht. Vor allem abends oder nachts sind sie den magischen Kräften ausgesetzt, die sie selbst oder ihr Kind gefährden könnten. In vielen Kulturen wurde ihnen daher davon abgeraten, nach Sonnenuntergang das Haus zu verlassen.
Deutschland noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts
Die Schwangerschaft wird allgemein mit zahlreichen Tabus und Verboten bedacht. In Handbüchern des Aberglaubens steht u.a.: Sie darf nicht über Deichseln schreiten, sonst verfällt das Kind dem Scharfrichter, nicht auf den Friedhof gehen, sonst stirbt das Kind.3 Eine Schwangere darf nicht durchs Fenster in ein verschlossenes Zimmer steigen, sonst wird das Kind ein Dieb, nicht zur Bleiche gehen, sonst wird das Kind bleich, nicht durchs Schlüsselloch sehen, sonst wird das Kind neugierig oder schielt…4
Mafa
Eine Schwangere darf nicht ohne die Erlaubnis ihres Mannes verreisen und anderswo schlafen. Vor allem darf sie ihre Eltern nicht besuchen oder keinen Fluss überqueren, sonst verliert sie ihr Baby. Die Wassergeister könnten ihr das Kind stehlen, das dann zum Wassergeist wird. Wenn eine Schwangere dennoch einen Fluss überquert, muss sie sofort etwas Sand auf ihren Nabel streuen. Wenn eine Schwangere gestohlen hat, senkt sich das Kind nicht, sondern bleibt oben im Bauch, bis sie den Diebstahl zugegeben hat. Wird eine Frau schwanger, ohne dass sie nach der letzten Entbindung die Regel hatte, bedeutet das, dass der Vater des Kindes sterben wird. Um das zu vermeiden, wird dem Neugeborenen sogleich ein Blutstropfen aus dem linken Ohrläppchen entnommen und auf ein Kalebassenstückchen geträufelt, das dann mit einer Zeremonie auf den Weg nah des Gehöfts gestellt wird.
Geburt
In Deutschland noch bis ins 19. Jahrhundert praktiziert
Im Geburtszimmer wurden geweihte Amulette, Medaillons oder Johanniskrautzweige aufgehängt und geweihte Kerzen aufgestellt. Der Gebärenden wurde ihr Hochzeitsgürtel auf den Bauch gelegt. Um Dämonen zu bannen, wurden die Speisen der Schwangeren bzw. der Wöchnerin mit geweihtem Salz gewürzt oder in einem Säckchen als Amulett benutzt.
Unter anderen in Mecklenburg mussten bei einer Geburt, als Schutzmaßnahmen vor Verknotungen der Nabelschnur, alle Knoten am Körper einer Schwangeren und alle Schlösser in der Stube geöffnet werden.5
Mafa
Bei den Mafa haben Verknotungen, die die Geburt des Kindes verhindern, einen sozialen Bezug. Die Geburt ist eine Prüfung. Sollte die Frau eine Übertretung begangen haben, oder sollte sie gar fremd gegangen sein, so dass das Kind aus einer außerehelichen Beziehung stammt, dann wird das Kind nicht kommen, bis diese Angelegenheit offengelegt und bereinigt ist. Oder hat die Mutter einen Streit mit dem Kindsvater gehabt, kann das Kind erst eine Versöhnung verlangen.
Am 12.08.1992 spielte das bei einer Geburt eine Rolle: Nachdem die Kreißende schon lange in den Wehen lag, fürchtete sie, ihr Kind wolle nicht herauskommen, weil ihr (abwesender) Mann im Zorn weggegangen war. Nun musste sie ihr Kind versöhnen. Sie mahlte ein paar Hirsekörner zu Mehl, das sie mit den Worten aß: „Mein Kind, wenn du aufgrund meiner Rede nicht herauskommen willst, so bitte ich dich um Verzeihung. Nimm meine Hirse an. Mein Gott, zürne nicht mit mir, weil ich böse Worte von mir gegeben habe!“
Nachgeburt
Die Nachgeburt, Plazenta oder der Mutterkuchen, hat das Kind im Mutterleib genährt und versorgt. Sie galt daher als „die andere Hälfte“ des Kindes, als eine Art Doppelgängerin, die mit der entsprechenden Achtung behandelt wurde. Das weitere Schicksal der Plazenta wurde niemals dem Zufall überlassen, denn ein sorgloser Umgang mit ihr konnte für das Kind Unglück bedeuten. Meist wurde sie direkt nach der Geburt vom Vater im Keller des Hauses oder einem Nebengebäude vergraben, oder in einem neuen Topf an den gleichen Stellen aufbewahrt. Auch wurde die Nachgeburt im Garten, auf dem Feld oder unter einem jungen Obstbaum vergraben. Das gesamte Hauswesen sollte möglichst viel von der fruchtbaren Kraft des Mutterkuchens profitieren.
Deutschland vor 1900
1984 wurden im Keller eines einsturzgefährdeten Hauses in Bönnigheim (Landkreis Ludwigsburg, BW) mehrere vergrabene Tontöpfe entdeckt, die teilweise aus dem Boden ragten. Es handelte sich offensichtlich um Gefäße für die Nachgeburtsbestattung.6 In einem im Jahr 1904 erschienenen Aufsatz heißt es: „Die Nachgeburt muss sofort entfernt werden, sonst riecht das Kind aus dem Mund; nach anderer Ansicht ist sie drei Tage lang unter der Bettlade der Wöchnerin aufzubewahren, damit ihr nichts Böses beikönne.“7
Mafa
Die Geburtshelferin vergräbt die Plazenta am Tag der Geburt eines Kindes in einem umgestülpten Tontopf, der als Kochtopf gedient hat, an einem bestimmten Platz in einem Terrassenfeld in der Nähe des Gehöfts. An der Anzahl der Plazentatöpfe kann gesehen werden, wie viele Kinder in dem Haus das Licht der Welt erblickten.
Sobald die Nabelschnur abgefallen ist, wird die Geburtshelferin gerufen. Sie geht mit der Nabelschnur, etwas Ocker-Erde, die zur Desinfektion des Nabels beim Baby eingesetzt wird, sowie mit einem Rest der Festmahlzeit auf einem Kalebassenstück zu dem Plazentatopf. Mit einer Sichel hackt sie ein Loch in den umgestülpten Topf und gibt den Nabel und den Essensrest hinein. Dies ist Nahrung für die Plazenta und soll bewirken, dass das Kind nie Hunger leidet. Dazu betet sie: „Shètènè, lass dieses Kind nicht krank werden, lass es immer genug zu essen haben!“ Mit der Sichel kratzt sie etwas Staub vom Topfboden in das Loch. Dann berührt sie mit ihrem Finger dessen Inneres. Dazu sagt sie: „Shèwdi, shèwdi!“ Das bedeutet so viel wie: „Möge kein Augenleiden daraus entstehen, dass in diesen Topf ein Loch geschlagen wird.“
Die Geburtshelferin bestreut den Körper des Neugeborenen mit etwas Staub dieses Plazentatopfes. Ist kein Loch in dem Topf, hat das Kind Schmerzen an der Fontanelle. Der Wind soll in den Topf kommen können, damit die Lebenskraft in den Kopf des Kindes gelangen kann. Die Plazenta muss in einem Tontopf begraben werden, damit kein Tier davon frisst. Ein an Bauchschmerzen erkranktes Kind bekommt bis zum Alter von einem Jahr etwas von der Plazenta in Wasser zu trinken. Wenn die Plazenta schon verwest ist, wird dem Kind etwas von der Erde gegeben. Eine Frau darf kein Wasser über die Plazenta schütten, sonst würde das Kind sterben. Bestimmte Pflanzen, die um die Plazentatöpfe sprießen, haben besondere Heilkraft.
Schutz des Säuglings
Deutschland
Gegen das „Berufen“ oder „Beschreien“ des Kindes wurden Vorkehrungen getroffen. Ein Bad in Salzwasser oder ein Salzsäckchen, dem Kinde angebunden, war ein sicherer Schutz. Aus diesem Grund durfte ein Kind auch nicht gelobt werden.8 In Süddeutschland wurden Wiegen mit Abwehrsymbolen zum Schutz der Säuglinge versehen.
Mafa
Neugeborene sind insbesondere dem bösen Blick ausgesetzt, vor allem von Nachbarinnen. Niemand darf das Kind loben, da sonst Neid erweckt wird und dies den bösen Blick anzieht. Bei den ersten Anzeichen einer Krankheit eines Neugeborenen wird das Orakel nach der Ursache befragt. Handelt es sich um den bösen Blick einer Person aus der Nachbarschaft, dann wird dem Kind ein Amulett um den Hals gehängt, das es so lange trägt, bis es von selber abfällt.
Wochenbettfest
Im Regelfall fand die Geburt nur unter Frauen statt – mit Beistand der Nachbarinnen und unter der Leitung einer von allen anerkannten Kundigen. Nach Eva Labouvie waren bei einer ländlichen Geburt zwischen fünf und sieben Frauen anwesend. Noch bis ins 20. Jh. lief in entlegenen Gegenden Europas die Geburt so ab, dass Frauen einander beistanden, weil alle zu gegebener Zeit auf diese Hilfe angewiesen waren. Die oft danach folgenden üppigen Wochenbettfeiern der Frauen wurden im 16. Jh. gesetzlich verboten.9
Quellen:
1. Godula Kosack hat bei den Mafa über Jahrzehnte als Ethnologin geforscht. Die Angaben über die Mafa entstammen sämtlich ihren Feldforschungsaufzeichnungen.↩
2. Müller-Kaspar, Ulrike (Hg.) (1999): Handbuch des Aberglaubens Band 2, TOSA: 576↩
3. Ebd.: 753↩
4. Hoffmann-Krayer, E. u.a. (Hg.) (1930/31): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Walter de Gruyter & Co Berlin und Leipzig: 1418↩
5. Messal, Norbert (1999): Zur Profan-Magie in Mecklenburg: Brunnen und Herd. Blankenburg: Hermes Verlag: 29↩
6. Sartorius, Kurt (2014): Die Bedeutung und die Behandlung der Plazenta im völkerkundlichen Vergleich. In: Siegfried Zabransky (Hrsg.): Plazenta und fetales Wachstum, Deutsche Gesellschaft für fetale Entwicklung, Proceedingband 2014: 16↩
7. Böhm, Heinrich (1904): Sitte und Brauch bei Geburt, Taufe und in der Kindheit. In: „Volkstümliche Überlieferungen aus Württemberg“, zitiert von Santorius: ebd.↩
8. Seyfarth, Carly (1913): Aberglaube und Zauberei in der Volksmedizin Sachsens. Leipzig: S.47↩
9. Labouvie, Eva (1998): Andere Umstände. Eine Kulturgeschichte der Geburt. Köln, Weimar, Wien: Böhlau↩
Fotographien: Godula Kosack