Frauen-Alltag

Der Alltag der Menschen im Mittelalter war bis zum 14. Jahrhundert in Mittel- und Westeuropa viel stärker als heute durch den jeweiligen gesellschaftlichen Stand bestimmt. In der Oberschicht wurden sehr oft Ehen geschlossen, um Besitz oder Titel zu vererben. Für das einfache Volk war eine Eheschließung nicht üblich. Sie lebten ohne Trauschein (Konkubinat), zusammen mit ihren Kindern. Das bedeutete, dass nichtehelich geborene Kinder nicht schlechter angesehen waren als eheliche: „Kein Kind ist seiner Mutter Kebs-Kind“ lautete ein allgemeinbekannter Satz und meint, dass jedes Kind einer Mutter ein ehrbares Kind ist. Bis ins 10. Jh. galten Kinder aus einer Verbindung von freien Männern mit unfreien (Neben-)Frauen, die sogenannten Kebsen (z.B. hörige Leibeigene) als Kebs-Kinder. Kebskinder hatten weniger Rechte. Sie konnten z.B. nicht erben.

Bilder aus: Wolf-Graaf, Anke (1983): Die verborgene Geschichte der Frauenarbeit. Weinheim und Basel: Beltz Verlag

Auch gab es Frauen, die allein lebten und/oder sich ihren Unterhalt selbst erarbeiteten. Frauen waren in mehr als 200 bekannten Berufen tätig. Frauen konnten sich unter bestimmten Voraussetzungen als Bürgerin in einer Stadt niederlassen. Sie konnten als Mägde oder als Tagelöhnerin auf dem Bau arbeiten (bis zu 30% der auf dem Bau Arbeitenden waren Frauen, die schon damals geringer entlohnt wurden). Frauen waren auch unterwegs – z.B. als Händlerinnen, Mägde, Wanderarbeiterinnen, Gauklerinnen, Musikerinnen – oder Marketenderinnen, die kriegerische Heere begleiteten. Und es gab Frauen, die auf Pilgerfahrt gingen.

In Frauenklöstern oder religiösen Laien-Schwesternschaften (wie z.B. den Beginen) erwarben Frauen Wissen und gaben dieses weiter. Handwerkerinnen konnten sich in zunftähnlichen Gruppen organisieren (vor allem im Textilgewerbe) und Lehrtöchter ausbilden. Besonders die Verarbeitung von Tier- und Pflanzenfasern zur Stoffherstellung lag damals in Frauenhand: Flachsverarbeitung, Wolle waschen, kämmen, spinnen, färben, nähen, sticken, flicken und weben, wobei das Weben auf dem Land und später in den Städten zunehmend Männer übernahmen. Frauen arbeiteten im Metall und Holzhandwerk; stellten u.a. Nadeln, Schnallen, Ringe oder Golddraht her; Besen, Bürsten, Matten und Körbe, Rosenkränze und Schlüssel. Es gab Böttcherinnen und Fassbinderinnen, städtisch angestellte Turmwächterinnen, Zöllnerinnen, Postmeisterinnen.1

Die Verarbeitung von Milch und Käse sowie Backen und Brauen – waren Tätigkeiten, die ebenfalls im frühen Mittelalter fast ausschließlich von Frauen betrieben wurden. Auch in der Getreideverarbeitung waren Frauen tätig. „Der erste verbriefte Müller“ in Leipzig war eine Müllerin.2 Sie betrieb bis 1392 die Mühle in Gohlis, in der heutigen Platnerstraße. Frauen arbeiteten als freie oder unfreie abgabepflichtige Bäuerinnen, die in der Feldarbeit mithalfen (Pflügen, Säen, Jäten, Ernten) sowie bei der Imkerei oder dem Fischfang.

Zwei Bäuerinnen, die melken und Butter machen. Erste Hälfte des 16. Jahrhunderts

Die harte Erwerbsarbeit brachte oft nicht den Lohn, um ein Kind ernähren zu können. Frauen, die aus diesem Grund keine Kinder wollten, mussten deshalb nicht enthaltsam leben, sondern nutzten bekannte verhütende oder abtreibende Mittel, die selbst hergestellt wurden oder von Kräuterfrauen und Wehmüttern/Hebammen erhältlich waren. Im Mittelalter galt: „Kein Land – keine Heirat“ – das bedeutete, wenn Kindern keine Zukunft garantiert werden konnte, bekamen Frauen oder Paare keine Kinder. Dieser „freie Umgang mit Sexualität“ war für die Kirche sündiges, unmoralisches Leben. Besonders auch im Kontext, dass die Kirche seit Jahrhunderten versuchte, in der Priesterschaft das Zöllibat bzw. die Ehelosigkeit und Enthaltsamkeit wertzupreisen.

„Der Tod im Kindbett ist nichts weiter als ein Sterben im edlen Werk und Gehorsam Gottes. Ob die Frauen sich aber auch müde und zuletzt tot tragen, das schadet nichts. Lass sie nur tot tragen, sie sind darum da.“ (Martin Luther: Werke. Weimarer Ausgabe, Bd 10/2, Weimar 1907, S. 296)

Infolge der Hexenverfolgung im Zeitraum vom 15. bis ins 18. Jahrhundert ging ein großer Teil des gesundheitlichen Wissens um Verhütung, Geburt und Kindbett verloren. Eine der Folgen: Die Kinder- und die Müttersterblichkeit, die vor der Hexenverfolgung schon hoch war, nahm um ein Vielfaches zu. Das Bevölkerungswachstum in Europa wird bis ins Mittelalter als relativ konstant angenommen. Ab dem 17. Jh. steigt – trotz der viel höheren Kindersterblichkeit – das Bevölkerungswachstum exponentiell an. Die katholische Kirche verbietet noch heute „künstliche Verhütung“, d.h. weltweit das Verbot, Verhütungsmittel zu nutzen.

Heilkunde allgemein und Gynäkologie

waren bis ins 14. Jh. meist Frauensache. Die wenigen Ärzte in den Städten waren für die überwiegende Landbevölkerung nicht erreichbar. Auch in den Städten war die medizinische Versorgung der Menschen schlecht. Hebammen, Kräuterkundige und/oder umherziehende Bader/innen wurden in dieser Zeit aufgesucht, um Schmerzen, Verletzungen, Krankheiten zu lindern… heilen zu lassen.

Frauen im Kräutergarten. Titelbild des „Hortulus“ von Walahfrid Strabo, 840

Zudem war für „studierte Doctoren“ die Niederkunft eine „Krankheit“, mit der sie sich nicht befassten. Gynäkologie durfte von Männern nicht ausgeübt werden. Die gesundheitliche Versorgung der Frauen während Schwangerschaft, Geburt und Kindbett lag seit Jahrtausenden bei Hebammen, Wehmüttern, Stuhl- und Bey-Weibern, die dieses umfangreiche Wissen mündlich aneinander weitergaben.3 Universitäten, die Ärzte ausbildeten, entstanden im deutschsprachigen Raum relativ spät; in Leipzig um 1409. Das änderte sich mit dem Beginn der Hexenverfolgung.

Rolle der Kirche und die Folgen

In fast jedem Dorf und in den Städten standen Kirchen, aber der Glaube der Bevölkerung war stark verbunden mit naturreligiösen Elementen. Magie spielte in vielen Alltagszusammenhängen eine Rolle. Aus diesem Grund versuchte die katholische Kirche seit Jahrhunderten, vorchristliche Sichtweisen und Rituale einzubinden, um stärker von der Bevölkerung angenommen zu werden und so den christlichen Glauben leichter verbreiten zu können.

Mit Beginn der Hexenverfolgung ist die Zeit der Inquisition fast vorbei. Die Inquisition verfolgte Menschen, die „nicht den richtigen Glauben hatten“. Verfolgt wurde aber nicht vorrangig ein Geschlecht. Die Hexenverfolgung schafft aus unterschiedlichsten Gründen jetzt eine neue zu verfolgende Personengruppe, die vorrangig und ausdrücklich weibliche Personen benennt.

Für Sachsen ist der älteste Hexen-Prozess mit Todesfolge für 1409 durch Manfred Wilde recherchiert.4 Die im Hexenhammer gelisteten Gründe der Verfolgung waren oft Deckmantel persönlich motivierter Anzeigen: aus Eifersucht, Neid, Konkurrenz, Missgunst, verwandtschaftliche Streitigkeiten, aus dem Wunsch den/die Ehepartner/in loszuwerden; verdächtig waren auch Krankheiten wie z.B. Epilepsie. Es reichte eine anonyme Verdächtigung, eine Sammlung absurder Indizien. Es wurden Güter konfisziert und von den Familien der Angeklagten hohe Gerichtskosten eingezogen, die Familien bis in Armut und Mittellosigkeit führen konnten.

Der Dreißigjährige Krieg 1618 – 1648 führte zu einem Zusammenbruch des gesellschaftlichen und ökonomischen Gefüges. 1631 formulierte der Theologe Friedrich Spee von Langenfeld klare öffentliche Kritik am Hexenwahn. Die Hexenverfolgung endet in Europa zwischen 1700-1780. In den deutschsprachigen Ländern gibt es keinen verordneten Abbruch der Hexenverfolgung. 1782 fand die letzte Hexen- Hinrichtung in der Schweiz statt.

Einige gesellschaftliche Veränderungen, die in der Hexenverfolgung (mit-)begründet sind:

  • In den katholischen und evangelischen Kirchen begann die Anlage von Tauf- und Sterberegistern (Kirchenbücher) zur Überwachung der Bevölkerung.
  • Kein Kind sollte mehr ohne das Wissen der Kirche geboren werden. Ab 1400 wurden Hebammen „ehrbar verheirateten Frauen“ unterstellt.
  • Ab 1500 musste jede Hebamme vereidigt werden. Sie musste einen guten kirchlichen Leumund haben und war rechenschaftspflichtig (Hebammen-Ordnung). Mit dieser Verordnung wurden Hebammen in ihrem Tun stärker reglementiert, kontrolliert und eingeschränkt. Hebammen wurden ärztlicher (männlicher) Kontrolle unterstellt. Doch diese Ärzte waren wenig kompetent, da sie in Frauenheilkunde nicht ausgebildet waren.5
  • Um 1520 erging das erste Verbot, Abtreibungsmittel zu verkaufen.
  • Mit der Vergabe des Privilegs zu Abgabe von „Medicamenten“ an die neugeschaffenen Apotheken ab 1579 wurde der „Salbenhandel“ (der abtreibende Mittel miteinschloss) verboten.
  • Apotheker-Eid: Leipziger Eidbuch von 1590: „… will auch die zugerichten unnd von mir bereytten Artzneyen und Composita mit dem Tittel der Zceit, wan sie von mir gemacht wordenn, domit man sich dornach zcu richten, bezeichen unnd beschreiben, unnd keine Gieff t und Gieff tige Artzneyen. Auch nicht, was die Fruechte abtreyben magk, ainigen vordechtigen personen verkauffen noch zukommen lassen. Sondern, do ich von Jemand dorumd angelangt werde, solches dem Burgermeister vormelden. …“ 6
  • Es kommt zur medizinischen Unterversorgung der Frauen. Hebammen wurden zu gefürchteten „Engelmacherinnen“, da durch schwindendes Wissen die Sterblichkeit von Kindern und Müttern zunimmt.
  • Trotz angestiegener Sterblichkeit setzte ein Bevölkerungswachstum ein, dessen Auswirkungen bis heute reichen. Die kinderreichen Familien der vorindustriellen Zeit sind u.a. ein Ergebnis verlorengegangenen Wissens.
  • Das Zusammenleben im Konkubinat (ohne Heirat) wird geächtet (Frankreich 1515) und ab 1563 als „schwere Sünde“ verurteilt und mit Exkommunikation belegt.
  • Kinder unehelicher Beziehungen werden geächtete Bastarde und sind Zeichen der Sünde.
  • Es kommt zum sprunghaften Anstieg der Kindstötungen – und seit dem 16. Jh. zur verschärften Verfolgung von Kindsmörderinnen. Noch bis 1996 werden gesellschaftlich geächtete unverheiratete Mütter und ihre Kinder in Irland in katholischen „Magdalenenheimen“ versteckt… unter Mitwirkung staatlicher Stellen.

Die Kirche schafft es, ihre sexualfeindlichen Dogmen und ihr herabsetzendes Frauenbild bis zum Ende der Hexenverfolgung als „normal“ zu etablieren… mit teilweiser Anerkennung bis heute. Diese entstandenen geschlechtsbezogenen Rollenbilder wurden auch exportiert. Mit der Kolonialisierung und Christianisierung anderer Kontinente wurden hier Frauen herabgewürdigt bzw. entmündigt – auch in Kulturen, in denen es diese Geringschätzung von Frauen bisher nicht gab.

Die Ehe wurde durch Martin Luther und die Reformation zum einzigen gesellschaftlich akzeptierten Lebensweg für eine Frau – unter Herrschaft und Rechtsvertretung des Mannes.

„Die größte Ehre, die das Weib hat, ist allzumal, dass die Männer durch sie geboren werden.“7

Der Paragraph 218 hat noch heute Rechtsgültigkeit. Im November des Jahres 2016 konnten es tausende Frauen in Polen verhindern, dass von Seiten der katholisch-konservativen Regierung Schwangerschaftsabbrüche – selbst bei Vergewaltigung oder Gefahr für das Leben der Mutter – wieder neu verboten und unter Gefängnisstrafe gestellt werden.

Carla Weckeßer | Mail-Art zum §218 | Ausstellungseröff nung 04.07.1996 Frauenkultur

Bis ins 20. Jahrhundert waren die meisten Frauen von (Universitäts-) Bildung ausgeschlossen. Frauen wurden oft gleichgesetzt mit „Natur“; Mann mit „Geist und Verstand“. Der in der Zeit der Hexenverfolgung beginnende Humanismus, die Zeit der Aufklärung werden verbunden mit „männlichem Geistesschaffen“. Dieses Bild wirkt bis heute.

Herrschende oder öffentlich-politisch entscheidende Frauen verschwanden mit der Hexenverfolgung weitgehend. Kaiserinnen wie Mathilde oder Theofanu um 1000 oder einflussreiche Kirchenlehrerinnen wie z.B. Hildegard von Bingen waren im deutschsprachigen Raum nicht mehr möglich. Eigenständiges wirtschaftliches Handeln und gerichtliche Mündigkeit erlangen Frauen erst im 20. Jahrhundert zurück.

Das Bild von bestimmten Frauen als „dämonisch, übersexuell aktiv und missgünstig“ konnte sich durch jahrhundertelange Hexenverfolgung tief im kollektiven Bewusstsein verankern und ist in bestimmten Situationen auch in unserer modernen Zeit noch vorhanden.

Die konsequente Aufarbeitung der Hexenverfolgung als gesellschaftliches Unrecht an vielen tausenden Menschen ist bis heute noch nicht erfolgt. Es ist irritierend und unverständlich, dass das nach der Bibel am meisten verbreitete Buch des ausgehenden Mittelalters, der frühen Neuzeit, des beginnenden Humanismus… der Hexenhammer (bis 1669 insgesamt in 29 Auflagen erschienen) in seiner historischen wie auch gesellschaftlichen Wirkungsgeschichte sehr wenig erforscht worden ist.

Der Rat der Lutherstadt Wittenberg hat im Oktober 2013 (wie inzwischen über 50 Städte deutschlandweit) eine sozial-ethische Rehabilitation der Opfer der Hexenverfolgung ausgesprochen:

„Der Stadtrat Wittenberg hat beschlossen, die im Rahmen der sogenannten Hexenprozesse im Bereich der Stadt Wittenberg unschuldig verurteilten Menschen sozial-ethisch zu rehabilitieren, um damit einen sichtbaren Beitrag zur Wiederherstellung der Ehre der Verfolgten und Hingerichteten zu leisten.“8

Ein historisch überfälliger Schritt. Immer mehr Frauen und Männer fordern, dass den Opfern der Hexenverfolgung ihre Menschenwürde wieder zugesprochen wird – und dass Unrecht auch als Unrecht benannt wird.

Lilith | Luisa Francia

Luisa Francia: „Heute erinnere ich an alle Frauen, die als „Hexen“ ermordet wurden, nicht weil sie etwa Zauberinnen waren, sondern weil sie der Inquisition im Weg standen. Sie waren Bäuerinnen, Gräfinnen, reiche gebildete einflussreiche Frauen, Hebammen, Heilerinnen, Kräuterfrauen. Ihre Güter wurden beschlagnahmt, ihre Rezepte wurden zu „Kloster Rezepten“, ihre Weisheit wurde lächerlich gemacht. Sie wurden absurder Handlungen angeklagt, wie: Kälbchen mit Sauerkraut zu Tode gehext oder: Kind verhext, so dass es Nadeln spuckt. Ich ehre und achte diese Frauen und halte es mit dem afrikanischen Sprichwort: Wenn wir groß sind, dann weil wir auf den Schultern unserer Ahninnen stehen.“9

 

 

 

Quellen:

1. Wolf-Graaf, Anke (1983): Die verborgene Geschichte der Frauenarbeit. Eine Bildchronik. Weinheim und Basel: Beltz Verlag

2. Leipziger Volkszeitung

3. Kuhn, Anette (Hrsg.) (2003): Die Chronik der Frauen. Dortmund: Chronik Verlag

4. Wilde, Manfred (2003): Die Zauberei- und Hexenprozesse in Kursachsen. Köln: Böhlau Verlag

5. Wolf-Graaf, Anke (1983). s. O.

6. Thieme, Horst (Hrsg.); Gerlach, Sigrid (1986): Leipziger Eidbuch von 1590. Leipzig: VEB Fachbuchverlag

7. zitiert nach: Frank Schumann (Hrsg.)(2016): Luther heute. Ein trefflich Wort, Berlin: Verlag Neues Leben, S. 33

8. Website von Hartmut Hegeler. URL: http://www.anton-praetorius.de/

9. Website von Luisa Francia: URL: www.salamandra.de

Bilder aus: Wolf-Graaf, Anke (1983): Die verborgene Geschichte der Frauenarbeit. Eine Bildchronik. Weinheim und Basel: Beltz Verlag
Illustration Lilith: Francia, Luisa (2012): Das Göttinnenspiel. 40 Göttinnenkarten mit einem Begleitbuch

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